2023
29. März | Aebi-Popp et al., Übertragung von antiretroviralen Medikamenten in die Muttermilch und Wirkstoffbelastung des Säuglings | ![]() |
Seit 2018 können Frauen mit HIV mit nicht nachweisbarer Viruslast stillen, wenn sie dies wünschen. Studien haben in der Tat ein sehr geringes Risiko einer Übertragung von HIV durch die Muttermilch bei antiretroviral behandelten Frauen mit nicht nachweisbarer Viruslast gezeigt. Die bekannten Vorteile des Stillens müssen jedoch auch gegen das Risiko des Säuglings abgewogen werden, der den antiretroviralen Medikamenten in der Muttermilch ausgesetzt ist. Diesbezüglich gibt es nur wenige Daten, insbesondere für die neuen HIV Medikamente. Das Ziel dieser Studie war es, die Konzentrationen antiretroviraler Medikamente in der Muttermilch zu ermitteln und sie mit den im Blut der Mutter gemessenen Werten zu vergleichen, um den Übergang in die Milch zu bestimmen. Ein weiteres Ziel war es, die tägliche Dosis antiretroviraler Medikamente, die der Säugling während des Stillens einnimmt, zu schätzen und die Konzentrationen antiretroviraler Medikamente in dessen Blut zu messen. An dieser prospektiven Studie nahmen 21 Frauen teil, die entbunden hatten und stillen wollten. Um stillen zu können, mussten die Frauen eine nicht nachweisbare Viruslast haben, eine gute Medikamententreue aufweisen und einer engmaschigen Überwachung zustimmen. Es wurde keine Übertragung infolge des Stillens beobachtet. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die HIV Substanz Rilpivirin gut in die Muttermilch übergeht. Hingegen ist der Übertritt von Integrasehemmern unterschiedlich: er ist gering für Bictegravir und Dolutegravir, während er für Raltegravir mäßig hoch ist. Obwohl Bictegravir und Dolutegravir nur in geringen Mengen in die Muttermilch gelangen, sind die Konzentrationen beider Medikamente bei Säuglingen höher. Diese Beobachtung ist darauf zurückzuführen, dass Säuglinge diese beiden Medikamente aufgrund der Unreife des für die Ausscheidung zuständigen Enzyms langsamer ausscheiden. Wie andere HIV-Proteasehemmer geht auch Darunavir/Ritonavir kaum in die Milch über. Schließlich neigen die Reverse-Transkriptase-Hemmer dazu, sich in der Milch zu konzentrieren, mit Ausnahme von Tenofovir Disoproxil Fumarat (TDF), das in sehr geringen Mengen in die Milch gelangt. Die tägliche Dosis an antiretroviralen Medikamenten, die ein Säugling beim Stillen zu sich nimmt, ist gering und liegt unter dem Expositionsindex von 10% der die allgemein akzeptierte Sicherheitsschwelle beim Stillen darstellt. Die antiretroviralen Konzentrationen im Blut des Säuglings variieren: für einige antiretrovirale Medikamente (z. B. Tenofovir Alafenamid Fumarat (TAF) oder TDF) fanden sich nicht nachweisbare Konzentrationen während andere antiretrovirale Medikamente (z. B. Dolutegravir). in Konzentrationen vorkommen, die ausreichen, um das Virus zu hemmen Diese Ergebnisse unterstreichen, wie wichtig eine sehr gute Therapietreue während der Stillzeit ist, um die Entwicklung von Resistenzen beim Säugling im Falle einer Übertragung zu verhindern. Zusammenfassend zeigt die Studie, dass die Mengen an antiretroviralen Medikamenten, die ein Säugling zu sich nimmt, gering sind und keine Gefährdung darstellen. Eine hohe Therapietreue der Mutter ist von grösster Bedeutung, um die Entwicklung von Resistenzen beim Säugling im Falle einer HIV-Übertragung zu vermeiden. |
15. Februar | Delabays et al., Einschätzung des Risikos für Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei Menschen mit HIV | ![]() |
Die Vorsorge und Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen (Herzinfarkt, Schlaganfall) stellen bei Menschen mit HIV eine grosse Herausforderung dar, da aufgrund der hochwirksamen antiretroviralen Therapie zunehmend die altersbedingten Erkrankungen in den Vordergrund rücken. Die Aussagekraft der für die Allgemeinbevölkerung entwickelten kardiovaskulären Risikowerte (SCORE2, PCE, D:A:D) zur Vorhersage von Herzkreislauferkrankungen aufgrund von Arterienverkalkung wird jedoch bei Menschen mit HIV kontrovers diskutiert. Ziel dieser Studie war es daher, die Aussagekraft dieser Risikowerte in der klinischen Praxis bei Menschen mit HIV, die an der Schweizerischen HIV-Kohortenstudie (SHCS) teilnehmen, im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung in einer Patientenkohorte namens CoLaus zu analysieren. Zu diesem Zweck berechneten die Forschenden zwischen 2003 und 2009 die Risikowerte für diese drei Instrumente zur Berechnung des Risikos für Herzkreislauferkrankungen bei Teilnehmenden ohne vorangegangenen Herzinfarkt oder Schlaganfall. Insgesamt wurden 6’373 Menschen mit HIV aus der SHCS und 5’403 Personen aus der CoLaus-Kohorte in die Studie aufgenommen. Während der 10-jährigen Nachbeobachtungszeit dieser Personen entwickelten 8,4% der Menschen mit HIV und 6,9% der Allgemeinbevölkerung Herzkreislauferkrankungen. Nach statistischer Bereinigung gewisser Störgrössen wie das Alter war die Anzahl der Herzkreislauferkrankungen bei Menschen mit HIV fast doppelt so hoch im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung (12,9 Ereignisse gegenüber 7,5 pro 1000 Personenjahre). Risikofaktoren wie Rauchen, hoher Cholesterinspiegel oder Diabetes schienen bei Menschen mit HIV ebenfalls häufiger aufzutreten. In Bezug auf die Qualität der Risikowerte in der Gruppe der Personen mit HIV zeigten alle drei Scores eine gute Leistung, wobei es keinen Mehrwert brachte, HIV-spezifische Parameter wie die CD4-Zahl mit einzubeziehen. Zusammenfassend ergab die Studie, dass basierend auf einer Risikoberechnung Menschen mit HIV im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung ein doppelt so hohes Risiko haben, eine Herzkreislauferkrankung zu entwickeln, was die Bedeutung der Durchführung von Vorsorgerisikoabwägungen verdeutlicht. Darüber hinaus scheinen die in der gängigen Praxis am häufigsten verwendeten Risikoberechnungen (SCORE2 und PCE) geeignet zu sein, das kardiovaskuläre Risiko bei Menschen mit HIV vorherzusagen. |
26. Januar | Pyngottu et al., Faktoren, welche ein Therapieversagen bei Integrase-basierten Erstlinientherapie vorhersagen | ![]() |
Integrasehemmer sind seit ein paar Jahren fester Bestandteil der antiretroviralen Therapie, insbesondere auch bei Erstlinientherapie (erste Therapie, die eine Person, die mit HIV lebt, bekommt.) Die Gründe dafür sind einerseits die sehr gute antivirale Wirksamkeit, die gute Verträglichkeit und die, im Vergleich zu anderen Therapien, wenigen Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten. Es gibt aber seltenerweise auch Therapieversagen auf Erstlinientherapie mit Integrasehemmer. Diese Studie wollte genauer untersuchen, was die Gründe für solche Therapieversagen sind. Es wurden 1’419 Menschen, die mit HIV leben und eine erste Therapie begonnen haben, ausgewählt und geschaut, wie diese Personen auf die Therapie angesprochen hatten. Während 18’447 Beobachtungsjahren (Gesamtzahl der Jahre, welche diese Personen unter Therapiebeobachtung standen) kam es zu 121 Therapieversagen. Dies ist grundsätzlich ein sehr gutes Resultat, insbesondere auch, da eine strenge Definition von Therapieversagen verwendet wurde. Ein Risikofaktor für Therapieversagen war das Auslassen von mindestens einer Behandlungsdosis während des letzten Monats und eine Viruslast von über 100'000 HIV-RNS Kopien/ml Blutplasma vor Beginn der Therapie. Eine CD4 Zellzahl von mehr als 200 Zellen/ul Blut war hingegen schützend für ein Therapieversagen. Menschen, die eine AIDS Erkrankung hatten vor dem Therapiebeginn, hatten ebenfalls ein grösseres Risiko, ein Therapieversagen zu erleiden. Wenn von allen Integrasehemmern Dolutegravir in Kombination mit zwei zusätzlichen antiretroviralen Medikamenten analysiert wurde, ergaben sich die gleichen Resultate. Dies ist wichtig, da Dolutegravir einer der am meisten verwendeten Integrasehemmer ist. Eine weitere Fragestellung, welche diese Studie untersucht hat, war, ob gewisse im Erbgut des HI-Virus vorliegende Mutationen, die manchmal für Resistenz gegen Integrasehemmer verantwortlich gemacht werden, bei Integrasehemmer basierten Erstlinientherapien eine Rolle spielen. Solche möglichen Resistenzmutationen lagen bei 104 von 646 Patienten vor, bei welchen Resistenzprüfungen vor Beginn der Therapie vorlagen. Glücklicherweise haben Menschen, die mit solchen Viren infiziert waren, aber genau gleich gut auf die Therapie angesprochen, was zeigt, dass diese Resistenzmutationen vor Therapiebeginn keine entscheidende Rolle spielten. Zusammenfassend zeigt die Studie, dass die von früheren Therapien her bekannten Risikofaktoren für Therapieversagen auch bei Integrasehemmer basierten Therapien gefunden werden. Diese wurden in den randomisierten Zulassungsstudien so nicht gefunden. Wahrscheinlich waren die Zahlen in diesen Studien zu klein. Zusätzlich konnte auch gezeigt werden, dass die fraglichen mit Integrase-Resistenz in Verbindung gebrachten Mutationen, falls sie vor Therapiebeginn vorliegen, keine Rolle spielen. |