2017
21. Dezember | Braun et al., Hohe Anzahl STIs bei MSM | |
Männer, die Sex mit Männern haben (MSM), mit wechselnden Sexualpartnern stecken sich häufig mit sexuell übertragbaren Krankheiten (STIs) an. Doch bei den meisten verlaufen diese Infektionen symptomlos. Weil sie aber diese Infektion an andere Personen weitergeben können, sollten sich MSM mit wechselnden Sexualpartnern alle drei Monate auf STIs untersuchen lassen insbesondere, wenn bestimmte Risikofaktoren vorliegen. Zu diesem Schluss kommt eine Studie der Zürcher HIV-Primo-Infektionskohorte, welche am Universitätsspital Zürich durchgeführt wird und in der auch Teilnehmer der Schweizerischen HIV-Kohortenstudie eingeschlossen sind. «Wenn’s juckt oder brennt, dann bitte zum Arzt». So lautet die Botschaft einer Kampagne des Bundesamts für Gesundheit, die Personen mit einer Geschlechtskrankheit auffordert, sich testen zu lassen. Forscher des Universitätsspital Zürich haben in ihrer neusten Studie gesehen, dass Symptome wie Ausfluss aus dem Enddarm oder Halsschmerzen tatsächlich stark auf eine STI hinweisen. Allerdings hatten zwei Drittel der infizierten MSM überhaupt keine Symptome zum Zeitpunkt der Testung. In der im Fachblatt «Clinical Infectious Diseases» publizierten Studie wurden rund 200 HIV infizierte MSM auf sexuell übertragbare Infektionskrankheiten untersucht. Diese Männer wurden in der frühen Phase der HIV-Infektion diagnostiziert und standen unter einer wirksamen HIV-Therapie, sodass sie bezüglich ihrer HIV-Infektion nicht mehr als infektiös galten. Jeder dritte dieser Männer infizierte sich innerhalb von ca. 1.5 Jahren mit einer oder mehreren STIs, am häufigsten mit Chlamydien (50%), seltener mit Tripper (25%) und Syphilis (19%), und sehr selten mit Hepatitis C (4%). Die Infektionen wurden dabei am häufigsten im Enddarm, aber auch im Rachen und vergleichsweise selten in der Harnröhre gefunden. Verglichen mit anderen Studien in Westeuropa in der MSM Population ist die Anzahl der diagnostizierten Infektionen aussergewöhnlich hoch. Allerdings zeigten bis 70 Prozent der Infizierten keinerlei Symptome. Testet man nur aufgrund von Symptomen, entdeckt man solche Krankheitsträger nicht, es findet keine Behandlung statt und die Übertragung geht weiter. Es ist deshalb häufig schwierig zu entscheiden, welche Personen auf Geschlechtskrankheiten untersucht werden sollten, wenn keine Symptome vorliegen. Die Studienautoren suchten deshalb nach Risikofaktoren, die das Vorliegen einer sexuell übertragbaren Infektionskrankheit vorhersagen können. Wechselnde Sexualpartner zählten genauso zu den ermittelten Risikofaktoren wie Sex ohne Kondome oder der Gebrauch von Drogen wie Ecstasy, GHB oder Kokain. Die Autoren empfehlen deshalb, die MSM, auf welche diese Risikofaktoren zutreffen, alle drei Monate auf STIs zu testen, auch wenn keine Symptome vorliegen. Da die Studie nur bei MSM durchgeführt wurde, können die Empfehlungen dieser Studie nicht gemeingültig auf Heterosexuelle übertragen werden. Es ist jedoch sinnvoll, auch asymptomatische Heterosexuelle mit vielen wechselnden Sexualpartnern regelmässig auf STIs zu testen. Falls Symptome wie Brennen oder Schmerzen im Genitalbereich vorliegen, sollte nach wie vor bei MSM und Heterosexuellen niederschwellig eine STI-Testung erfolgen, da diese Symptome stark auf eine Geschlechtskrankheit hinweisen. |
16. November | Béguelin et al., Hepatitis D bedingte Sterblichkeit bei HIV/Hepatitis B koinfizierten Personen | |
Den meisten Personen ist bekannt, dass die drei Virusinfektionen HIV, Hepatitis C und Hepatitis B weltweit bedeutend sind aufgrund ihres häufigen Vorkommens und jedes Jahr viele Millionen Menschen an den Folgen dieser Virusinfektionen sterben. Weniger gut ist jedoch bekannt, dass auch das Hepatitis D Virus weltweit eine wichtige Rolle spielt und bis zu 20 Millionen Menschen mit diesem Virus infiziert sind. Forscher haben nun herausgefunden, dass in der Schweizerischen HIV-Kohortenstudie ein beträchtlicher Anteil der Personen mit einer HIV und Hepatitis B Koinfektion auch mit Hepatitis D infiziert sind. Lesen Sie weiter, um mehr über diese wichtige Entdeckung zu erfahren. Das Hepatitis D Virus kann nur in Gegenwart von Hepatitis B eine Infektion verursachen und kommt deshalb nie als alleinige Infektion vor. Eine zusätzliche Infektion mit Hepatitis D bei Hepatitis B infizierten Personen beschleunigt das Fortschreiten der Infektion und führt zu einem schnelleren Leberschaden. Die Forscher aus der Schweizerischen HIV Kohortenstudie haben für ihr Projekt über 800 Personen mit einer gleichzeitig bestehenden HIV und Hepatitis B Infektion auf Hepatitis D getestet. Sie fanden heraus, dass 119 dieser Personen (15 Prozent) auch mit Hepatitis D infiziert waren und sich bei der Hälfte davon das Virus am Vermehren war, das heisst eine aktive Infektion vorlag. Am häufigsten konnte eine aktive Hepatitis D Infektion bei Personen gefunden werden, welche intravenös Drogen konsumierten und welche auch mit Hepatitis C infiziert waren. Eine Koinfektion mit Hepatitis D hatte dabei einen grossen Einfluss auf die Gesundheit der betroffenen Personen: die Sterblichkeit war bei Vorliegen einer Hepatitis D Infektion um das Doppelte erhöht und die Leber-bedingte Sterblichkeit gar um das Siebenfache. Zudem waren Personen mit einer HIV und Hepatitis D Infektion zehnmal häufiger von Leberkrebs betroffen. Zusammenfassend zeigt diese Studie, dass eine gleichzeitige HIV, Hepatitis B und Hepatitis D Infektion eine hohe Sterblichkeit hat und das Risiko für einen Leberschaden und Leberkrebs beträchtlich erhöht. Bei Hepatitis B infizierten Personen sollte deshalb auch immer aktiv nach einer Hepatitis D Infektion gesucht werden. Leider existieren aktuell noch keine wirksamen Behandlungsmöglichkeiten gegen die Hepatitis D Infektion, so dass deren weitere Erforschung sehr wichtig ist und sie eine medizinische Herausforderung bleibt. |
25. Oktober | Borges et al., Früher Therapiebeginn reduziert Krebsrisiko | |
HIV-infizierte Personen haben im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung ein höheres Risiko an Krebs zu erkranken. Die Entstehung einiger Krebsarten wird durch das gleichzeitige Vorliegen von HIV klar begünstigt, man nennt diese Krebsarten deshalb auch HIV-bezogene Krebse. Dazu gehören bestimmte Lymphdrüsenkrebse, der Gebärmutterhals- und der Analkrebs und das Kaposi Sarkom. In der Strategic Timing of Antiretroviral Treatment (START)-Studie hat der frühe Beginn einer antiretroviralen Therapie bei einer CD4-Helferzahl >500 Zellen/µl bei den Teilnehmern das Risiko an Krebs zu erkranken um 64% gesenkt im Vergleich zu Personen, welche die antiretrovirale Therapie erst bei einer CD4-Helferzahl <350 Zellen/µl begonnen haben. Die Autoren in dieser Studie haben nun untersucht, ob diese Reduktion hauptsächlich durch einen Rückgang der HIV-bezogenen Krebsarten bedingt war und welches die Faktoren waren, welche zu dieser Reduktion beigetragen haben. Sie haben dabei herausgefunden, dass eine frühe HIV-Therapie insbesondere die Entstehung von zwei bestimmten Krebsarten zu senken vermag und dabei weitere wichtige Erkenntnisse gewonnen. Lesen Sie weiter, um mehr darüber zu erfahren. Insgesamt wurden 4'685 HIV-infizierte Personen aus 35 Ländern in die START-Studie eingeschlossen und die Teilnehmer per Zufall in eine Gruppe mit einem unmittelbaren ART-Beginn bei >500 CD4-Zellen/µl oder mit einem verzögerten Beginn bei <350 CD4 Zellen/µl zugeteilt. Bereits nach drei Jahren wurde die Studie gestoppt, da sich für Personen, welche die antiretrovirale Therapie bei einer hohen CD4-Anzahl begonnen hatten, eine klare Reduktion von AIDS- und nicht-AIDS-bedingten Erkrankungen gezeigt hatte. Der unmittelbare Beginn der antiretroviralen Therapie reduzierte das Risiko an HIV-bezogenen Krebs zu erkranken um 74%. Bei Personen mit unmittelbarem Therapiebeginn traten insgesamt 14 Krebsfälle auf und bei Personen mit einem verzögerten Therapiebeginn 39 Krebsfälle. Risikofaktoren für die Entstehung von HIV-bezogenen Krebsarten waren hohes Alter, Übergewicht, Regionen mit einem tiefen oder mittleren Einkommen sowie eine hohe HIV-Viruslast und eine hohe CD8 (nicht CD4!)-Zellzahl bei Studieneinschluss. Der unmittelbare Beginn einer antiretroviralen Therapie führte insbesondere zu einer Risikoreduktion für Kaposi Sarkome und Lymphdrüsenkrebse, währenddessen der Effekt bei anderen Krebsarten weniger eindrücklich war. Überraschend war, dass eine tiefe CD4-Helferzahl nicht mit einem erhöhten Risiko für die Entstehung von Krebs vergesellschaftet war, stattdessen eine hohe CD8-Helferzahl als möglicher Ausdruck des chronischen Entzündungszustandes bei HIV-infizierten Personen. Ebenso fand sich nur ein kleiner Effekt einer hohen HIV-Viruslast bei Studieneinschluss auf die Entstehung von Krebs. Die START-Studie hat viele wichtige Erkenntnisse geliefert, welche heutzutage bei der Behandlung von HIV-infizierten Personen berücksichtigt werden. So wird heute der frühe Beginn einer antiretroviralen Therapie bei allen HIV-infizierten Personen unabhängig von der Höhe der CD4-Zellzahl empfohlen. Der unmittelbare Beginn einer HIV-Therapie während der Frühphase der HIV-Infektion vermag das Risiko für die Entstehung von Krebsarten stark zu reduzieren. Der positive Einfluss dieser frühen HIV-Therapie auf die Krebsentstehung ist dabei nicht nur durch eine hohe HIV-Viruslast oder durch das schwache Immunsystem erklärt. Andere Faktoren wie die Reduktion des chronischen Entzündungszustandes und die Hemmung von anderen Krebs-verursachenden Viren (zum Beispiel Herpesviren oder das humane papilloma Virus) durch die unmittelbare antiretrovirale Therapie scheinen ebenfalls eine wichtige Rolle zu spielen. |
27. September | Schäfer et al., Geringe körperliche Aktivität bei Patienten aus der SHCS | |
Sport ist gesund, so lautet der Volksmund. Tatsächlich konnte bei HIV-negativen Personen gezeigt werden, dass eine regelmässige körperliche Aktivität die Sterblichkeit erniedrigt, insbesondere aufgrund eines geringeren Risikos für Herzkreislauferkrankungen. Forscher aus der Schweizerischen HIV-Kohortenstudie haben nun untersucht, ob sich die körperliche Aktivität in der Freizeit und im Beruf zwischen HIV-positiven Personen und HIV-negativen Personen unterscheidet. Das Ergebnis: HIV-positive Personen bewegen sich weniger im Vergleich zu ihren HIV-negativen Mitmenschen. Zudem haben die Forscher einen Geschlechter-Unterschied und einen ganz besonderen «Röschtigraben» festgestellt. Lesen sie weiter, um mehr darüber zu erfahren. In der Schweizerischen HIV-Kohortenstudie beantworten die Patientinnen und Patienten alle sechs Monate Fragen zur körperlichen Aktivität in ihrer Freizeit und während der Arbeit. Für die aktuelle Studie haben die Forscher bei 10'540 Teilnehmern die Antworten auf diese Fragen zwischen Dezember 2009 und November 2014 ausgewertet. Diese Daten wurden verglichen mit denjenigen aus einer Umfrage namens «Sports Switzerland» innerhalb der Schweizer Allgemeinbevölkerung aus den Jahren 2009 und 2014. Bei den HIV-positiven Personen gaben 2009 insgesamt 49% der Befragten an, in ihrer Freizeit keine körperliche Aktivität zu betreiben. Dieser Prozentsatz sank 2014 leicht auf 44% ab. Im Vergleich hierzu gaben 2009 bei den HIV-negativen Personen nur 27% der Befragten an, in ihrer Freizeit auf körperliche Aktivität zu verzichten und dieser Prozentsatz blieb anlässlich der Verlaufsumfrage 2014 stabil bei 26%. Bei der Frage nach einer sitzenden Tätigkeit am Arbeitsplatz fand sich bei den Patienten aus der SHCS ein leichter Anstieg von 23% 2009 auf 26% 2014. Zusätzlich Analysen ergaben, dass Personen mit einer Aids-definierenden Erkrankung und einer tiefen CD4-T-Helferanzahl weniger körperlich aktiv waren im Vergleich zu den Personen, bei denen die HIV-Infektion in einem frühen Stadium entdeckt wurde und welche eine höhere CD4-T-Helferanzahl aufwiesen. Gemeinsamkeiten im Bewegungsdrang fanden sich zwischen HIV-positiven Personen und der Allgemeinbevölkerung bei der Geschlechterfrage: in beiden Gruppen waren die Männer körperlich mehr aktiv als die Frauen, wobei die körperliche Aktivität ab dem Alter von 25 Jahren kontinuierlich abnahm. Zudem gaben Personen mit einem höheren Bildungsgrad an, sich in ihrer Freizeit mehr zu bewegen als Personen mit einem tieferen Bildungsgrad. Zuletzt konnten die Forscher in ihrer Studie einen besonderen «Röschtigraben» ermitteln: HIV-positive Personen in der Deutschschweiz gaben tendenziell mehr körperliche Aktivität in ihrer Freizeit an im Vergleich zu ihren Mitmenschen aus der Westschweiz und dem Tessin. Zusammenfassend zeigt die Studie, dass HIV-positive Personen von einer Beratung hin zu mehr körperlicher Aktivität profitieren könnten. Dies würde den allgemeinen Gesundheitszustand verbessern und insbesondere liesse sich damit das Risiko für Herzkreislauferkrankungen reduzieren. |
10. August | Güler et al., Lebenserwartung HIV-positiver Menschen | |
Die Frage, ob HIV-positive Menschen heutzutage dieselbe Lebenserwartung aufweisen wie HIV-negative Personen, ist für die Betroffenen zentral und zudem wichtig für die Überwachung der HIV-Epidemie und Planung von staatlichen Gesundheitsprogrammen. Die erfreuliche Antwort vorab: die Lebenserwartung von HIV-positiven Personen nähert sich immer mehr derjenigen der HIV-negativen Schweizer Allgemeinbevölkerung an. Allerdings trifft dies vor allem auf HIV-positive Personen mit einem hohen Bildungsgrad zu. Weshalb dem so ist und welches Verbesserungspotential noch besteht, lesen Sie weiter unten. In der vorliegenden Studie haben die Autoren Güler et al. die Lebenserwartung bei 16'532 Teilnehmern der Schweizerischen HIV-Kohortenstudie (SHCS) zwischen 1988-2013 untersucht und diese mit der Lebenserwartung von 927'538 Personen aus der Schweizerischen National Kohorte (SNC) verglichen. Die Studie zeigte, dass während der Beobachtungszeit 4‘579 Todesfälle bei HIV-infizierten eintraten. Von den Patienten, welche während der Ära der HIV-Mono-Therapien (1988-1991) in die SHCS eingeschlossen wurden, verstarben 65.1%. Diese Zahl sank massiv auf 2.4% für HIV-infizierte, die in der Ära der HIV-Dreifachkombinationstherapien (2006-2013) eingeschlossen wurden. Die Lebenserwartung HIV-infizierter Personen erhöhte sich von der Zeit der HIV-Mono-Therapie zur Zeit der Dreifachkombinationstherapie um 11.8 Jahre. Interessanterweise war die Lebenserwartung HIV-infizierter Personen abhängig vom Bildungsgrad: die Lebenserwartung bei Behandlung mit einer Dreifachkombinationstherapie betrug bei einer 20-jährigen HIV-positiven Person mit einem tiefen Bildungsgrad durchschnittlich 72.7 Jahre, währenddessen die Lebenserwartung bei einem höheren Bildungsgrad bei 80 Jahren lag. Im Gegenteil hierzu fanden sich in der Allgemeinbevölkerung kleinere Unterschiede: die Lebenserwartung einer 20-jährigen Person stieg im Zeitraum von 1988-1991 im Vergleich zu 2006-2013 um 0.7 Jahre und lag zuletzt bei 81.5 Jahren mit einem tiefen Bildungsgrad und bei 85.6 Jahren mit einem hohen Bildungsgrad. Faktoren, welche mit einer höheren Sterblichkeit vergesellschaftet waren, beinhalteten das männliche Geschlecht, das Rauchen, ein intravenöser Drogenkonsum und tiefe CD4 Helferzellen. Zusammenfassend zeigt die Studie, dass die Lebenserwartung von HIV-infizierten Personen heutzutage nach wie vor tiefer ist im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung. HIV-infizierte Personen mit einem hohen Bildungsgrad weisen dieselbe Lebenserwartung auf wie Personen aus der Schweizer Allgemeinbevölkerung mit einem tiefen Bildungsgrad. Ein früher Beginn der HIV-Therapie und Rauchstopp-Programme können dazu beitragen, dass sich die Lebenserwartung HIV-infizierter Personen weiter derjenigen der Allgemeinbevölkerung angleicht. |
5. Juli | Sabin et al., Abacavir und das Risiko für Herzinfarkte | |
Das HIV-Medikament Abacavir wird bei HIV-infizierten Personen in Kombination mit anderen HIV-Medikamenten häufig in der HIV-Therapie eingesetzt. Die Resultate von verschiedenen Studien lassen darauf schliessen, dass die Einnahme von Abacavir zu einem erhöhten Risiko für Herzinfarkte führt. Aufgrund der aktuellen Datenlage ist allerdings nicht ganz klar, ob es sich dabei tatsächlich um ein erhöhtes Risiko handelt oder ob Abacavir in der Vergangenheit bloss häufiger bei HIV-infizierten Personen eingesetzt wurde, welche aufgrund bereits bestehender traditioneller Risikofaktoren (z.B. Rauchen, Bluthochdruck, Diabetes) per se ein erhöhtes Risiko für einen Herzinfarkt aufgewiesen hatten und das höhere Risiko dadurch erklärt war. Um diese Unsicherheit zu klären, haben die Autoren der vorliegenden Studie die Daten von fast 50'000 HIV-infizierter Personen analysiert, welche von 2008 bis 2013 mit Abacavir behandelt wurden. Dieser Zeitraum wurde bewusst gewählt, da ein Zusammenhang von Abacavir mit einem erhöhten Risiko für Herzinfarkte seit 2008 bekannt ist und dies möglicherweise dazu geführt hat, dass Abacavir seither weniger oft bei HIV-infizierten Personen mit einem hohen Risiko für Herzkreislauferkrankungen verschrieben wurde. Dies könnte dazu geführt haben, dass neuere Studien den Zusammenhang von Abacavir mit Herzinfarkten nicht mehr bestätigen können. Die neue Analyse ergab nun, dass die Herzinfarktrate bei Personen unter Abacavir-haltiger Therapie 0.47 Fälle pro 100 Patientenjahre betrug und bei Personen ohne Abacavir-haltiger Therapie 0.21 Fälle pro 100 Patientenjahre. Anders ausgedrückt: wenn man 400 HIV-infizierte Personen ein Jahr lang beobachtet, treten bei Personen unter Abacavir-haltiger Therapie zwei Herzinfarkt auf und bei Personen ohne Abacavir-haltiger Therapie ein Herzinfarkt. Mittels weiterer statistischer Tests wurde weitgehend ausgeschlossen, dass diese erhöhte Rate an Herzinfarkten bei Personen unter Abacavir-haltiger Therapie durch andere Gründe erklärt sein könnte, zum Beispiel durch das Vorliegen bestehender traditioneller Risikofaktoren, dem Alter, dem Geschlecht oder einer tiefen T-Helferzellenanzahl. Die Endanalyse ergab, dass eine Person unter Abacavir-haltiger Therapie ein doppelt so hohes Risiko für einen Herzinfarkt aufwies im Vergleich zu einer Person ohne Abacavir-haltiger Therapie. Zusammenfassend zeigt die Analyse, dass Abacavir wahrscheinlich zu einem erhöhten Risiko für Herzinfarkte führt. Die Gabe von Abacavir sollte deshalb bei HIV-infizierten Personen mit einem mittleren oder hohen Risiko für Herzinfarkte vermieden werden. Kommentar Dr. med. D. Braun und Prof. H. Günthard, SHCS |
31. Mai | Kovari et al., HCV und nicht leberbedingte Sterblichkeit | |
Eine Hepatitis C Virus (HCV) Infektion bei HIV-infizierten Menschen ist häufig und betrifft bis zu 30% der HIV-infizierten Personen. Die chronische HCV-Infektion ist mit einer Vielzahl von nicht leberbedingten Erkrankungen vergesellschaftet wie zum Beispiel Lymphdrüsenkrebs und Autoimmunerkrankungen. Neuere Studien zeigen zudem, dass eine chronische HCV-Infektion möglicherweise auch das Risiko für Herzkreislauferkrankungen oder einen Diabetes erhöht. Zugleich wurden in den vergangenen Jahren neue, hochwirksame Medikamente gegen HCV auf den Markt zugelassen (sogenannte direct-acting agents; DAAs), welche eine HCV-Infektion in den allermeisten Fällen zu heilen vermögen. Die Autorengruppe um Dr. Kovari hat in der vorliegenden Studie untersucht, inwiefern eine HCV-Infektion zu der nicht leberbedingten Sterblichkeit beiträgt und ob eine Heilung der HCV-Infektion zu einer Abnahme von nicht leberbedingten Krankheiten und deren Sterblichkeit beiträgt. Für die nachfolgende Analyse wurden 2'503 HIV/HCV-infizierte Personen eingeschlossen und mit 2'503 HIV-infizierten/HCV-negativen Personen verglichen. Die Studiendauer betrug über acht Jahre. Die HCV-Behandlung bestand in 90% der HCV-behandelten Personen nicht aus den neuen, hochwirksamen DAAs, sondern noch aus der alten Generation an HCV-Medikamenten und somit meistens Interferon in Kombination mit Ribavirin. Die Analysen zeigten, dass HCV-infizierte Personen ein deutlich erhöhtes Risiko für Lebererkrankungen, Nierenerkrankungen und für eine verminderte Knochendichte sowie eine erhöhte Sterblichkeit aufwiesen im Vergleich zu nicht HCV-infizierten Personen. Die Autoren fanden hingegen kein erhöhtes Risiko bei HCV-infizierten Personen für Diabetes, Herzkreislauferkrankungen, nicht AIDS-bedingten Krebsen und für eine nicht leberbedingte Sterblichkeit. Patienten, welche gegen HCV behandelt wurden, ohne dass diese Behandlung jedoch zu einer Heilung führte, wiesen ein höheres Risiko für Lebererkrankungen und Diabetes auf im Vergleich zu den Patienten, welche durch die HCV-Behandlung geheilt werden konnten. Patienten ohne HCV-Behandlung hatten zudem ein leicht erhöhtes Risiko für Nierenerkrankungen, Herzkreislauferkrankungen und nicht AIDS-bedingten Krebsarten im Vergleich zu den geheilten Patienten, jedoch war dieses Risiko statistisch nicht signifikant. Zusammenfassend zeigt diese Studie zwei Dinge: erstens haben HCV-infizierte Personen ein erhöhtes Risiko für Leber-und Knochenerkrankungen und zwar unabhängig davon, ob die HCV-Infektion behandelt ist oder nicht. Zweitens haben unbehandelte HCV-Patienten ein erhöhtes Risiko für Diabetes und ein leicht erhöhtes Risiko für Herzkreislauferkrankungen. Eine Behandlung der HCV-Infektion führt zudem zu einer Abnahme der Sterblichkeit und von leberbedingten Erkrankungen. Für die Zukunft wird es wichtig sein zu untersuchen, welchen Einfluss die hochwirksamen HCV-Medikamente und damit verbunden die höheren Heilungsraten auf die nicht leberbedingten Erkrankungen und die Sterblichkeit haben. Die Studienresultate weisen jedoch darauf hin, dass HIV/HIV-infizierte Menschen von einer HCV-Behandlung profitieren unabhängig davon, ob schon ein höherer Leberschaden vorliegt oder nicht. Kommentar Dr. D. Braun und Prof. H. Günthard, SHCS |
20. April | Trickey et al., Todesursache von Patienten, welche zehn Jahre HIV-Therapie überlebt haben | |
HIV-positive Menschen, welche gleich nach Einführung der HIV-Kombinationstherapie 1996 mit einer HIV-Therapie begonnen haben, sind mittlerweile bis zu 20 Jahre mit HIV-Medikamenten behandelt. Die aktuelle Sterblichkeitsrate dieser HIV-infizierten Menschen ist von grossem Interesse, da sie über lange Zeit HIV-Medikamenten mit beträchtlichem Nebenwirkungspotential ausgesetzt waren. Viele haben die HIV-Therapie bei einer tiefen T-Helferzellanzahl gestartet und haben mittlerweile ein Alter erreicht, in dem das Risiko für Krebs- und Herzkreislauferkrankungen angestiegen ist. Eine Gruppe von Autoren aus 18 HIV-Kohorten in Europa und den USA haben nun die Sterblichkeitsrate und Todesursachen bei HIV-positiven Menschen untersucht, welche seit mindestens zehn Jahren unter einer HIV-Therapie stehen. Von den 13’011 Patienten, welche zwischen 1996 und 1999 mit einer HIV-Therapie begonnen hatten und mindestens 10 Jahre mit HIV-Medikamenten behandelt wurden, verstarben insgesamt 656 Patienten (5%). Folgende Faktoren waren mit einer höheren Wahrscheinlichkeit zu versterben vergesellschaftet: Alter, männliches Geschlecht, intravenöser Drogenkonsum, AIDS und eine tiefe T-Helferanzahl bzw. eine nachweisbare HIV-Viruslast 10 Jahre nach Beginn der HIV-Therapie. Eine tiefe T-Helferanzahl vor Beginn der HIV-Therapie war nicht mit einer höheren Sterblichkeit vergesellschaftet. Die häufigsten Todesursachen waren: nicht-AIDS bedingter Leberkrebs (25%), AIDS (19%), Herzkreislauferkrankungen (12%) und andere Lebererkrankungen (10%). Ältere Patienten hatten ein höheres Risiko an einer Herzkreislauferkrankung oder an Leberkrebs zu versterben. Patienten mit intravenösem Drogenkonsum verstarben häufiger an Lebererkrankungen und nicht-AIDS Infektionen (z.B. Hepatitis C Infektion) und Patienten mit einer tiefen T-Helferanzahl zehn Jahre nach Beginn der HIV-Therapie verstarben häufiger an AIDS. Zusammengefasst zeigt diese Studie, dass die T-Helferanzahl und die HIV-Viruslast bei Patienten, welche zehn Jahre nach Beginn der HIV-Therapie überlebt haben, wichtige prognostische Faktoren für die Überlebenswahrscheinlichkeit bleiben. Interessanterweise waren die häufigsten Todesursachen in dieser Studie sogenannte nicht-AIDS bedingte Erkrankungen wie zum Beispiel Leberkrebs oder Herzkreislauferkrankungen. Es ist deshalb wichtig, diese Patientengruppe gezielt auf solche Erkrankungen hin zu untersuchen. Patienten mit intravenösem Drogenkonsum stellen eine Patientengruppe dar, welche eine höhere Sterblichkeitsrate aufweist und entsprechend sollten Programme entwickelt werden, welche diese erhöhte Sterblichkeit zu senken vermögen. |
16. März | Marzel et al., Hauptgründe für neue HIV-Infektionen in der SHCS | |
Es gilt, dass Personen unter einer wirksamen HIV-Therapie und regelmässiger Einnahme ihrer HIV-Medikamente das HIV sexuell nicht mehr auf andere Personen übertragen können. Zudem ist bekannt, dass die Infektiosität von HIV-infizierten Personen in den ersten Monaten nach Ansteckung am höchsten ist. Viele HIV-infizierte Personen wissen jedoch nicht, dass sie infiziert sind, weil sie sich nicht auf HIV testen lassen. Der frühzeitigen Erkennung der HIV-Infektion und dem unmittelbaren Beginn der HIV-Therapie bei neu-diagnostizierten Personen kommt somit eine entscheidende Bedeutung zu, um die Rate an HIV-Übertragungen in der Schweiz senken zu können. Es ist deshalb wichtig zu wissen, wie viele der HIV-Infektionen durch Leute übertragen werden, welche sich in der frühen Phase der Infektion befinden und welchen Einfluss die Unterbrechung der HIV-Therapie auf die HIV-Übertragungen hat. Marzel und Kollegen haben in ihrer Studie untersucht, wie viele der neu-diagnostizierten HIV-Infektionen in der Schweiz von Personen stammen, welche sich in den ersten 12 Monaten nach Ansteckung mit HIV befinden. Hierfür haben sie anonymisiert die genetischen Daten von den HIV-Resistenztestungen von 10'970 Teilnehmern aus der Schweizerischen Kohortenstudie ausgewertet und einen genetischen Stammbaum erstellt. Innerhalb dieses genetischen Stammbaumes konnten sie schliesslich bis zu 378 sogenannte potentielle Übetragungs-Paare identifizieren, in welchen die eine Person mit grosser Wahrscheinlichkeit ihr HIV auf die andere Person übertragen hatte. Ausgehend von diesen Übertragung-Paaren konnten die Autoren der Studie ausrechnen, dass bis zu 56% der HIV-Übertragungen in der Schweiz von Personen stammen, welche sich in den ersten 12 Monaten nach Ansteckung befinden. Eine Übertragung in der chronischen Phase der HIV-Infektion war umso höher, wenn bei den HIV-infizierten Personen die HIV-Therapie erst spät begonnen wurde und je höher die HIV-Viruslast der unbehandelten Personen war. Zudem fanden 14% der Übertragungen bei Personen statt, welche ihre HIV-Therapie unterbrochen oder gestoppt hatten. Zusammenfassend zeigt diese Studie, dass die meisten Infektionen in der Schweiz von HIV-infizierten Personen übertragen werden, welche sich noch in der Frühphase ihrer HIV-Infektion befinden oder ihre HIV-Therapie abgesetzt haben. Um die HIV-Epidemie in der Schweiz wirksam bekämpfen zu können, ist es deshalb sehr wichtig, die Personen bereits früh nach der Infektion zu diagnostizieren und die HIV-Therapie unmittelbar nach Diagnosestellung zu beginnen. Eine Unterbrechung der HIV-Therapie sollte nicht mehr erfolgen und immer mit dem Arzt abgesprochen werden. |
16. Februar | Scherrer et al., Auftreten von erworbenen Resistenzen von HIV gegenüber HIV-Medikamenten in der CH beinahe gänzlich gestoppt | |
Es ist bekannt, dass bei HIV-infizierten Personen der Einsatz von ungenügend wirksamen HIV-Medikamenten oder die unregelmässige Einnahme derselben zu einer Entwicklung von Resistenzen (=Widerstandsfähigkeit) des Virus gegenüber den HIV-Medikamenten führt. Die Resistenzen bewirken, dass sich das HI-Virus trotz Einnahme der HIV-Medikamente vermehren kann und die HIV-Infektion damit weiter voranschreitet. Scherrer und Kollegen haben in ihrer Studie das Auftreten von Resistenzen gegenüber verschiedenen HIV-Medikamenten über einen Zeitraum von 15 Jahren (1999-2013) bei 11'084 HIV-therapierten Patienten aus der Schweizerischen HIV-Kohortenstudie untersucht. Insgesamt wurde in diesem Zeitraum bei einem Drittel aller behandelten Patienten eine Resistenz gegenüber HIV-Medikamenten festgestellt. Dieser Anteil an Patienten mit Resistenzen war am höchsten bei denjenigen, welche die HIV-Therapie vor 1999 gestartet hatten (56% der Patienten), und ging stark zurück bei den Patienten, welche die Therapie zwischen 1999-2006 (19.7%) bzw. 2007-2013 (9.7%) begonnen hatten. Eine Resistenz auf die drei wichtigsten Medikamentenklassen zusammen ging im Beobachtungszeitraum von 9.0% auf 4.4% zurück und lag ab 2006 immer unter 0.4%. Die meisten Patienten mit Resistenzen hatten ihre HIV-Therapie vor 1999 begonnen (Anteil 59.8%), dennoch konnten bemerkenswerterweise im Jahre 2013 über 94% dieser Patienten aufgrund der Verfügbarkeit von modernen HIV-Medikamenten wirksam gegen HIV behandelt werden, das heisst eine unterdrückte HIV-Viruslast erreicht werden. Zusammenfassend zeigt diese Studie eindrücklich, dass die Entwicklung von Resistenzen gegenüber HIV-Medikamenten aufgrund der Einführung von neuen und modernen HIV-Medikamenten dramatisch zurückgegangen ist. Dies ist insbesondere seit 2007 der Fall, als die modernen Protease- und neu die Integrasehemmer auf den Markt kamen. Eine erworbene Resistenz auf alle 3 Medikamentenklassen zusammen ist heutzutage praktisch inexistent. |
12. Januar | Rodger et al., Risiko einer HIV-Übertragung bei ungeschütztem Sex zwischen Paaren mit unterschiedlichem HIV-Status | |
Die Autoren Rodger und Kollegen haben im Rahmen der PARTNER Studie das Risiko einer Übertragung von HIV bei ungeschütztem analem und vaginalem Sex zwischen Paaren mit unterschiedlichem (sero-diskordantem) HIV-Status untersucht, bei denen der HIV-infizierte Partner unter einer wirksamen antiretroviralen Therapie (ART) stand, d.h. die HIV-Viruslast < 200 Kopien/ml Blut über sechs Monate betrug. Es wurden 1'166 Paare in die Studie eingeschlossen, von denen 548 Paare heterosexuell und 340 Paare homosexuell waren, und zu insgesamt 1'238 Beobachtungsjahren beitrugen. Im Studienzeitraum hatten die Partner insgesamt mindestens 58’000 Mal eindringenden Anal- oder Vaginalverkehr ohne Kondom. Während einer durchschnittlichen Beobachtungszeit von 1.3 Jahren pro Paar wurden 11 der zuvor HIV-negativ getesteten Partner neu positiv auf HIV getestet. Ein Vergleich der Virussequenzen dieser neu-infizierten Personen mit denjenigen von ihren jeweiligen Partnern (phylogenetische Analyse) zeigte jedoch keine grosse Ähnlichkeit dieser Viren. Das heisst, es lagen keine Hinweise vor, dass sich diese Personen bei ihren unter ART stehenden HIV-positiven Partnern angesteckt hatten (Anmerkung der Redaktion: in diesen Fällen erklärte man sich die Ansteckung dadurch, dass sich die Person ausserhalb der Partnerschaft bei einer anderen HIV-positiven Person ohne ART angesteckt hatte). Insgesamt konnte somit bei ungeschützten Sexualkontakten zwischen sero-diskordanten Paaren keine einzige HIV-Übertragung nachgewiesen werden, sofern die Viruslast beim therapierten HIV-positiven Partner weniger als 200 Kopien/ml Plasma betrug. Interessanterweise war das Risiko einer HIV-Übertragung bei einer zusätzlichen Ansteckung mit einer Geschlechtskrankheit (z.B. Syphilis, Tripper, Chlamydien) nicht erhöht. Zusammenfassend konnte während einer Beobachtungszeit von 1.3 Jahren pro Paar bei ungeschütztem Sex zwischen sero-diskordanten Paaren und wirksamer Behandlung des HIV-positiven Partners keine einzige HIV-Übertragung beobachtet werden. Weitere Studien mit einer längeren Beobachtungsdauer sind allerdings notwendig, um eine präzisere Abschätzung des Risikos ermitteln zu können. Kommentar Dr. Dominique Braun und Prof. Huldrych Günthard Wir möchten diese Gelegenheit nutzen, um den Teilnehmenden aus der Schweizerischen HIV Kohortenstudie, die an dieser wichtigen Studie teilgenommen haben bzw. immer noch teilnehmen, herzlich zu danken. |