2019
11. Dezember | Olearo et al., Einfluss der M184V/I Mutation auf die Wirksamkeit der Kombinationstablette Triumeq® bei behandlungserfahrenen Patienten | |
Bei Patienten, welche aufgrund einer schlechten Therapietreue oder einer nicht voll wirksamen HIV-Therapie ein virologisches Versagen machen, können Mutationen in bestimmten HIV-Genabschnitten auftreten, welche zu einer Resistenz auf gängige HIV-Medikamente führen. Die häufigste Resistenzmutation in der Schweizerischen HIV-Kohortenstudie (SHCS) ist die sogenannte M184V/I Mutation, welche zu einer verminderten Wirksamkeit der HIV Substanzen Lamivudin (3TC® und Abacavir (Ziagen®) führt. Diese beiden Substanzen werden für die Behandlung der HIV-Infektion häufig eingesetzt, in vielen Fällen in Kombination mit der Substanz Dolutegravir (Tivicay®) als sogenanntes single pill regimen Triumeq®. Die Autoren haben nun in der vorliegenden Kollaborationsstudie untersucht, ob bei therapieerfahrenen Patienten, welche die M184V/I Mutation aufweisen und auf Triumeq® umgestellt werden, die HIV Viruslast weiterhin unterdrückt bleibt. Diese Frage ist auch deshalb von Bedeutung, da nun Dolutegravir und Lamivudin als Teil einer HIV-Kombinationstherapie auf dem afrikanischen Kontinent häufig eingesetzt wird und viele dieser Patienten die M184V/I Mutation aufweisen. Ob Triumeq® trotz vorhandener M184V/I Mutation wirksam ist, lesen sie weiter unten. In der vorliegenden Studie wurden Daten aus fünf großen HIV-Kohortenstudien in vier europäischen Ländern (Frankreich, Italien, den Niederlanden und der Schweiz) ausgewertet. Die Patienten waren alle therapieerfahren und wiesen eine unterdrückte Viruslast auf, bevor sie auf Triumeq® umgestellt wurden. Insgesamt wurden die Daten von 1'626 Patienten ausgewertet, wobei bei 137 Patienten (8.4%) eine dokumentierte M184V/I Mutation vorlag. In der vorliegenden Analyse stammten 778 Patienten aus der SHCS, davon hatten 56 Patienten (7.2%) eine M184V/I Mutation. Analysiert wurde bei den Patienten mit und ohne M184V/I Mutation die Häufigkeit eines virologischen Versagens. Ein virologisches Versagen war als zweimalige Viruslastmessungen >50 Kopien pro Milliliter Blut definiert. Der Beobachtungszeitraum betrug im Median 288 Tage. Die Patienten mit einer dokumentierten M184V/I Mutation hatten bei Start ihrer ersten HIV-Therapie eine tiefere CD4-Zellzahl und waren länger vorbehandelt als Patienten ohne M184V/I Mutation. Insgesamt trat ein virologisches Versagen nach switch auf Triumeq® sehr selten auf: nur insgesamt 21 Patienten (1.29%) erfüllten die Definition eines virologischen Versagens. Ein virologisches Versagen trat bei 17 der 1'489 Patienten (1.2%) ohne M184V/I Mutation auf und bei 4 der 137 Patienten (3%) mit M184V/I Mutation. Dieser Unterschied war statistisch nicht signifikant. Bei den Patienten, welche ein virologisches Versagen hatten, traten zudem keine neuen Resistenzmutationen auf. Zusammenfassend fand diese internationale Kollaborationsstudie eine extrem niedrige Rate an virologischen Versagen bei behandlungserfahrenen Patienten, welche auf das single pill regimen Triumeq® umgestellt wurden. Zudem war das Risiko eines virologischen Versagens bei Patienten mit einer dokumentierten M184V/I Mutation trotz verminderter Wirksamkeit auf Abacavir und Lamivudin nicht erhöht. Dies zeigt deutlich auf, wie potent die neueren Integrasehemmer wie Dolutegravir oder Bictegravir sind und dass aufgrund ihrer hohen Resistenzbarriere auch bei einem virologischen Versagen das Auftreten von zusätzlichen Resistenzmutationen unwahrscheinlich ist. Allerdings braucht es noch mehr Daten und eine längere Beobachtungsdauer, um die Resultate der vorliegenden Studie bestätigen zu können. |
6. November | Kusejko et al., Neurokognitive Einschränkungen bei Patienten*innen aus der SHCS | |
Neurokognitive Einschränkungen (Gedächtnisstörungen, Aufmerksamkeitsdefizite, Probleme bei Entscheidungsfindungen) sind bei HIV-infizierten Personen häufig. Frühere Studien kamen zum Schluss, dass bei Untersuchungen mittels neuropsychologischer Tests bis die Hälfte aller HIV-infizierter Personen eine solche neurokognitive Einschränkung aufwiesen. Die vorliegende Studie hat nun untersucht, wie oft eine neurokognitive Einschränkung bei den Patienten*innen aus der Schweizerischen HIV-Kohortenstudie (SHCS) vorkommt und welche Faktoren das Auftreten einer eben solchen begünstigen. Erfreulicherweise zeigt die Studie, dass in der SHCS neurokognitive Einschränkungen über die Zeit abgenommen haben. Dennoch gibt es eine Gruppe von Patienten*innen, bei welcher diese weiterhin bestehen. Welche Personen davon betroffen sind, lesen sie weiter unten. In der SHCS wird das Auftreten von neurokognitive Einschränkungen halbjährlich erfragt, in dem die Patienten*innen je drei Fragen zu Gedächtnisstörungen, Aufmerksamkeitsdefiziten und Problemen bei Entscheidungsfindungen beantworten. In der vorliegenden Studie wurden nun insgesamt 79'683 Fragebögen von 11'029 Patienten*innen über eine Zeitspanne von mindestens 2.5 Jahren (5 Fragebögen) in den Jahren 2013 bis 2017 ausgewertet. Mittels spezieller statistischer Tests wurden in einem ersten Schritt Gruppen gebildet, welche dieselben Verläufe bezüglich neurokognitiver Einschränkungen aufwiesen und in einem zweiten Schritt untereinander vergleichen. Die Resultate der Studie waren wie folgt: Der Prozentsatz an Patienten*innen, welche über neurokognitive Einschränkungen berichteten, nahm in der untersuchten Zeitspanne (2013 bis 2017) von 19.6 Prozent auf 10.7 Prozent deutlich ab. Die Gruppe an Patienten*innen mit einem hohen Vorkommen an neurokognitiven Einschränkungen hatte im Vergleich zu der Gruppe mit einem niedrigen Vorkommen signifikant häufiger frühere AIDS-definierende Erkrankungen des Zentralnervensystems, eine schlechtere Medikamententreue, und häufiger Depressionen. Zusammenfassend zeigt diese Studie eindrücklich, dass neurokognitive Einschränkungen bei unseren Patienten*innen aus der SHCS über die letzten Jahre abgenommen haben. Dies ist höchstwahrscheinlich durch die potenteren HIV-Therapien und den früheren Beginn der HIV-Therapie bedingt. Allerdings zeigt die Studie auch, dass bei Patienten*innen mit einer früheren Erkrankung des Zentralnervensystems das Vorkommen an neurokognitiven Einschränkungen erhöht ist, selbst wenn die Erkrankung vor vielen Jahren stattgefunden hat und die Patienten*innen unter einer wirksamen HIV-Therapie stehen. Zusätzlich zeigt die Studie auch, dass Patienten*innen mit einer mangelhaften Therapietreue oder mit Depressionen besonders sorgfältig auf neurokognitive Einschränkungen abgeklärt werden sollten. |
16. Oktober | Bachmann et al., HIV-Reservoirs: Neue Erkenntnisse über die zähen Gegner auf dem Weg zur Heilung | |
Eine der grössten Hürden für die Heilung von HIV stellt das Reservoir von latent HIV-infizierten Zellen dar. Diese bestehen vor allem aus infizierten, jedoch ruhenden CD4+ T-Gedächtniszellen. Diese Reservoirs bilden sich rasch nach der HIV-Infektion und überdauern auch eine jahrzehntelange Behandlung mit ART. Fachleute sind sich einig, dass die Heilung einer HIV-Infektion bei diesen viralen Reservoirs ansetzen und die latent infizierten Zellen darin entweder deutlich reduzieren oder – im besten Fall – eliminieren muss. Noch sind die Reservoirs aber nicht umfassend erforscht. Zwar ist bekannt, dass ihre Grösse nach dem Start der ART erst einmal abnimmt, und kleinere Studien haben gezeigt, dass sich die Grösse der Reservoirs individuell und über die Zeit hinweg auch unter einer laufenden ART stark verändern kann. Wegen der relativ kleinen Zahlen der Studienteilnehmenden und der relativ kurzen Studiendauer sowie der beschränkten Anzahl untersuchter Ko-Faktoren ergaben diese Untersuchungen bislang aber kein umfassendes Bild der Faktoren, welche die Grösse und die Veränderungen über die Zeit unter ART beeinflussen. Solche Erkenntnisse sind für das bessere Verständnis der latenten Reservoirs jedoch extrem wichtig. Nadine Bachmann und ihre Kolleginnen und Kollegen eines multidisziplinären nationalen Forschungsteams von der Klinik für Infektionskrankheiten und Spitalhygiene am USZ, haben nun in der bisher grössten longitudinalen Beobachtungsstudie untersucht, wie sich die Grösse des Reservoirs langfristig verändert und welche Faktoren die Veränderungen, bzw. die Grösse der Reservoirs beeinflussen. Dafür wertete das Forscherteam in aufwändigen Testreihen Blutproben und die dazugehörenden Daten von 1’057 Personen aus, die über viele Jahre erfolgreich mit ART behandelt wurden. Sie konnten dafür auf die Schweizerische HIV Kohortenstudie (SHCS) mit ihrer umfassenden Biobank zurückgreifen. In dieser seit 1988 laufenden prospektiven Kohortenstudie sind ca. 75% aller HIV-infizierten Menschen der Schweiz erfasst, die eine antiretrovirale Therapie bekommen und ihre Daten und Blutproben der Forschung zur Verfügung stellen. Die SHCS bietet damit eine einzigartige Datensammlung und Grundlage für die Forschung zu HIV. Dank dieser Sammlung standen von jeder der 1’057 Personen mindestens drei Proben zur Messung der HIV-Reservoirs zur Verfügung, die im Mittel 1.5, 3.5 und 5.4 Jahre nach Beginn einer ART entnommen worden waren. Von 412 Personen lagen Daten vor, die erlaubten, den Verlauf der HIV-Reservoirs bis auf zehn Jahre zurückzuverfolgen. Dank dieser umfassenden klinischen, virusgenetischen, demographischen, verhaltens- und therapiespezifischen Daten konnten erstmals eine Vielzahl potenziell Reservoir-beeinflussender Faktoren gleichzeitig in multivariablen, statistischen Modellen untersucht werden. Die Studie aus der SHCS erfasste zehnmal mehr Studienteilnehmer als die bisher grösste vergleichbare Studie und erlaubte entsprechend aussagekräftigere Resultate. Im Durchschnitt fand sich eine Abnahme der Grösse der Reservoirs während der ersten 5.4 Jahre nach Beginn der ART mit einer geschätzten Halbwertszeit von 5.6 Jahren. Über die Beobachtungsdauer flachte der Abfall der Reservoirs deutlich ab und schien sich einem Plateau anzugleichen. Entgegen den Erwartungen fand sich jedoch trotz erfolgreicher antiretroviraler Therapie bei 281 (26.6%) der analysierten Personen keine Abnahme, sondern eine Zunahme der Grösse der Reservoirs. Dies war ein überraschender und wichtiger Befund. Hatte die Therapie innerhalb des ersten Jahres nach der HIV-Infektion begonnen und war die Viruslast zu diesem Zeitpunkt tief, waren auch die Reservoirs 1.5 Jahre nach Therapiestart tief. Die genauen Gründe für die Zunahme des latenten Reservoirs bei einem Viertel der Patienten sind noch unbekannt. Eine der Hypothesen ist, dass sich bei diesen Patienten die latent infizierten Zellen teilen. Eine andere, dass sich bei einem Teil der Patientinnen und Patienten die HI-Viren trotz der antiretroviralen Therapie noch auf einem tiefen Niveau vermehren. Dass mangelnde Therapietreue der Patienten zu diesem Effekt geführt haben könnte, ist aufgrund der sehr validen Daten zur Therapietreue der Patienten oder zu Therapieunterbrühen allerdings weitgehend ausgeschlossen. Dass sich bei den meisten Patienten unter Therapie eine Abnahme des latenten Reservoirs zeigte, bestätigte die Resultate von früheren Studien anderer Gruppen. Neu in der vorliegenden Studie war hingegen, dass sogenannte virale «Blips» – d.h. kurzzeitig zwischen zwei nicht nachweisbaren Plasma-Virusmessungen im Blut nachweisbare Viren – mit grösseren Reservoirs und mit einem kleineren Abfall derselben im Verlauf der Zeit zusammenhängen. Bisher galten diese Blips als klinisch nicht oder kaum relevant. Die Studie zeigt, dass diese jedoch von biologischer Bedeutung sind. Im Weiteren fanden sich auch tiefere HIV-Reservoirs bei Menschen nicht-weisser Ethnie. Zusammenfassend hat die vorliegende Studie einige wichtige Erkenntnisse geliefert, welche zu einem besseren Verständnis des HIV-Reservoirs geführt haben. Daraus könnten Strategien abgeleitet werden, welche für die Heilung von HIV von Nutzen sind. Es bleiben immer noch viele Fragen zur Entstehung und Aufrechterhaltung des HIV-Reservoirs unverstanden. Allerdings haben die neuen Erkenntnisse zur Rolle der Blips klar gezeigt, dass «Proof of Concept»-Eliminationsstudien mit sorgfältig ausgewählten Patienten erfolgen müssen, weil sonst für die Forschung wichtige Effekte möglicherweise verpasst werden. |
8. August | Hachfeld et al., Warum werden Personen aus Subsahara-Afrika mit einer HIV-Infektion spät diagnostiziert? | |
HIV-Infektionen werden bei Patienten aus Subsahara-Afrika oft in einem späten Stadium diagnostiziert. Eine spät diagnostizierte Infektion ist definiert durch eine tiefe CD4-Zell Zahl und/oder AIDS-definierenden Erkrankungen. Die Autoren dieser Studie haben die Gründe dieser Beobachtung in der Schweizerischen HIV Kohortenstudie untersucht. Sie haben untersucht, wie oft die HIV Infektion bei Patienten aus Subsahara-Afrika und aus West-Europa spät diagnostiziert werden. In persönlichen Interviews wurden Patienten befragt, welchen Zugang sie zu HIV-Tests hatten. Ebenfalls wurden Gründe für eine verzögerte HIV-Testung angesprochen. Die HIV Infektion wurde bei 64.6% (126/195) der Patienten aus Subsahara-Afrika und bei 45.8% (435/950) der Patienten aus West-Europa spät diagnostiziert. In West-Europa wurden Frauen später als Männer diagnostiziert. In Subsahara-Afrika bestand kein zeitlicher Unterschied in der HIV-Diagnose zwischen Männern und Frauen. Die Patientinnen mit einer spät diagnostizierten Infektion wurden eher in der Schwangerschaft diagnostiziert, wenn sie aus Subsahara-Afrika stammten (9.1% der Patientinnen) als aus West-Europa (0%). Patienten mit einer spät diagnostizierten Infektion wurden häufiger von Hausärzten diagnostiziert, wenn sie aus West-Europa stammten (44.6%), als wenn sie aus Subsahara-Afrika stammten (25.0%). Ein niedriger Bildungsgrad hatte keinen Einfluss auf eine späte HIV Diagnosestellung. Patienten aus Subsahara-Afrika wussten häufiger als Patienten aus West-Europa nicht, dass anonyme HIV-Tests durchgeführt werden können. Ebenfalls die Angst der Reaktionen der Familienangehörigen, falls ein Test positiv ausfällt, wurde häufiger von Patienten aus Subsahara-Afrika (39.3%) als Patienten aus Europa (21.7%) als Grund für einen verspäteten HIV-Test berichtet. 26.1% der Patienten aus Subsahara-Afrika hatten Angst, aus der Schweiz ausgewiesen zu werden. Zusammenfassend zeigt die Studie, dass die Mehrheit der Patienten aus Subsahara-Afrika spät mit einer HIV-Infektion diagnostiziert wurden, unabhängig des Geschlechts und des Bildungsgrads. Eingeschränkter Zugang zu HIV-Tests, fehlende Kenntnisse über HIV-Tests und Ängste einer HIV-Diagnose sind wichtige Gründe für eine spät diagnostizierte HIV-Infektion bei Patienten aus Subsahara-Afrika. |
16. Mai | Salazar-Vizcaya et al., Anstieg der in der Schweiz erworbenen HCV Neuinfektionen bei MSM | |
Die niederschwellige Verfügbarkeit der neuen hochwirksamen Hepatitis C (HCV) Medikamente in der Schweiz und die Behandlung der Personen mit einer erfassten HCV Infektion hat die Rate an HCV Neuinfektionen bei HIV-positiven Männern, die Sex mit Männer haben (MSM) entscheidend gesenkt. Die Anzahl Neuinfektionen könnte allerdings wieder ansteigen, wenn sich viele der MSM im Ausland mit HCV anstecken und die Infektion dann zurück in die Schweiz einführen. Die Autoren dieser Studie aus der Schweizerischen HIV Kohortenstudie (SHCS) haben deshalb untersucht, wie viele der MSM sich zwischen 2000 bis 2016 mit HCV im Ausland angesteckt haben und wie viele davon in der Schweiz. Die Studie konnte zeigen, dass der Anteil der MSM, die sich in der Schweiz mit HCV angesteckt hatten, in den letzten Jahren deutlich zugenommen hat. Welche Konsequenzen sich daraus ableiten, lesen sie weiter unten. Für die vorliegende Studie haben die Autoren mittels molekularbiologischen Analysen die Virusstämme von 99 HCV infizierten Personen aus der SHCS analysiert. Alle Virusstämme waren sogenannte Genotyp 1a Infektionen, der häufigste vorkommende Genotyp bei MSM. Zwei Drittel der Virusstämme waren zudem HCV Infektionen, welche MSM betrafen. Ausgehend von diesen 99 Virusstämmen haben die Autoren anschliessend einen genetischen Stammbaum konstruiert und diesen mit 374 Referenzstämmen aus dem In- und Ausland vergleichen. Damit konnten die Autoren herausfinden, welche der 99 Patienten aus der SHCS sich im Ausland angesteckt hatten und welche in der Schweiz. Aufgrund ihrer Analysen schätzen die Autoren, dass 50 bis 80% der HCV Infektionen Schweizer Virusstämme waren, das heisst, dass sich die Person wahrscheinlich in der Schweiz mit HCV angesteckt hatte. Eine weitere Beobachtung war, dass im Zeitraum 2000 bis 2007 der Anteil der Schweizer HCV Stämme 54 Prozent betrug. Mit anderen Worten, etwas mehr als die Hälfte der MSM hatten sich wahrscheinlich in der Schweiz mit HCV angesteckt. Bemerkenswerterweise stieg im Zeitraum 2008 bis 2017 der Anteil der in der Schweiz erworbenen HCV Infektionen auf bis zu 85 Prozent an. Es fanden sich zudem keine Hinweise darauf, dass die HCV Infektionen bei den MSM von Personen stammten, welche zu der Risikogruppe der intravenösen Drogenkonsumenten gehören. Zusammenfassend zeigt die Studie, dass es bei HIV-positiven MSM internationale Netzwerke von Hepatitis C Übertragungen gibt. Die Früherkennung solcher Netzwerke mittels Studien wie dieser könnte helfen, diese Übertragungskette zu stoppen und die Weiterverbreitung von HCV Infektionen innerhalb der Netzwerke einzudämmen. Weiter zeigt die Studie, dass sich im Beobachtungszeitraum der Studie wahrscheinlich die meisten MSM in der Schweiz mit HCV angesteckt hatten und nicht im Ausland. Allerdings spielen HCV Infektionen, welche aus dem Ausland einführt wurden, weiterhin eine bedeutende Rolle. Insbesondere, da solche eingeführten HCV Infektionen die Bemühungen zunichtemachen könnten, HCV in der Schweiz bei HIV-positiven MSM zu eliminieren. |
10. April | Abela et al., Auftreten einer erworbenen Resistenz auf HIV-Medikamente in der SHCS | |
Glücklicherweise ist die Rate an erworbener Resistenz auf HIV-Medikamente aufgrund der heutzutage sehr potenten HIV-Medikamente stark zurückgegangen. Die vorliegende Arbeit hat Faktoren ermittelt, welche mit einem erhöhten Risiko für eine erworbene Resistenz vergesellschaftet sind: Arbeitslosigkeit, Afrikanische Herkunft, Symptome einer psychiatrischen Erkrankung und Ko-Medikamente für die Behandlung einer Infektionskrankheit. Welche Konsequenzen sich aus diesen Resultaten ableiten, lesen sie weiter unten. In der westlichen Welt ist die Rate an erworbener Resistenz auf HIV-Medikamente aufgrund der Verfügbarkeit der hoch potenten HIV-Medikamente und der Möglichkeit der Überwachung des Therapieerfolges mittels Viruslast Messungen stark zurückgegangen. Es gibt aber nach wie vor Patienten, die ein erhöhtes Risiko haben, unter einer HIV-Therapie eine Resistenz zu entwickeln. Die vorliegende Studie hatte das Ziel, diese Risikofaktoren zu ermitteln. Damit sollen Strategien entwickelt werden, welche die Entwicklung von HIV-Resistenz in diesen Patientengruppen zu verhindern vermögen. Aus der Datenbank der Schweizerischen HIV-Kohortenstudie wurden insgesamt 115 Fälle ausgewählt, bei denen unter einer HIV-Kombinationstherapie mit 3 aktiven Substanzen eine erworbene Resistenz auf HIV-Medikamente aufgetreten war. Diese 115 Fälle wurden mit 115 Fällen ohne erworbene HIV-Resistenz (Kontrollgruppe) verglichen, die sich bezüglich verschiedenen Charakteristika (zum Beispiel Helferzellanzahl und Viruslast bei Therapiebeginn, Behandlungszentrum) stark ähnelten. Zudem gingen die Studienärzte alle 230 Patientenakten durch, um weitere Risikofaktoren zu ermitteln, welche nicht routinemässig alle sechs Monate im Rahmen der Kohorten-Visiten abgefragt werden. Die Studienärzte konnten in ihren Analysen folgende Faktoren ermitteln, welche mit einem erhöhten Risiko für eine erworbene Resistenz auf HIV-Medikamente vergesellschaftet waren: Afrikanische Herkunft und Ethnie, Asylstatus, Symptome einer psychiatrischen Erkrankung, weibliches Geschlecht, Arbeitslosigkeit, niedriger Ausbildungsgrad und eine Behandlung mit Medikamenten gegen eine andere Infektionskrankheit (zum Beispiel Tuberkulose). Zusammenfassend zeigt die Studie, dass eine erworbene Resistenz auf HIV-Medikamente nach wie vor auftreten kann und bestimmte vulnerable Patientengruppen ein erhöhtes Risiko hierfür haben. Die ermittelten Risikofaktoren in dieser Studie sollen dem Behandlungsteam helfen, solche Patienten frühzeitig zu erkennen und multidisziplinär (Psychiater, Sozialarbeiter) zu behandeln. |
20. März | Shepherd et al., Rauchstopp und Risiko von Krebs bei HIV-infizierten Personen | |
Dass Rauchen ungesund ist und das Risiko für Lungenkrebs deutlich erhöht, ist bestens untersucht. Weniger gut untersucht ist, in welchem Ausmass das Rauchen bei HIV-infizierten Personen zu einem Krebsrisiko beiträgt und wie lange es braucht, bis das Risiko für Lungenkrebs nach einem Rauchstopp zurückgeht. Frühere Studien bei HIV-negativen Personen haben gezeigt, dass nach einem Rauchstopp das Risiko für Lungenkrebs nach etwa fünf Jahren stark abnimmt. Dass dies bei HIV-infizierten Personen nicht der Fall ist, zeigt nun die vorliegende Studie. In der Allgemeinbevölkerung erhöht Rauchen die Sterblichkeit um das Dreifache und das Risiko für Lungenkrebs ist deutlich erhöht. Studien in der Allgemeinbevölkerung haben allerdings gezeigt, dass nach einem Rauchstopp das Krebsrisiko bereits nach einigen wenigen Jahren wieder abnimmt. In der vorliegenden Studie haben die Autoren untersucht, ob dies auch bei HIV-infizierten Personen der Fall ist. Insgesamt wurden für diese Analyse 35'442 Personen von verschiedenen Kohorten aus Europa, den USA und Australien eingeschlossen, darunter auch Patienten aus der Schweizerische HIV Kohortenstudie. Diese Patienten wurden zusammengerechnet über mehr als 300'000 Patientenjahre beobachtet und zwar ab 2004 bis zum Auftreten von einem Krebs oder spätestens bis Ende Februar 2016. Es wurden verschiedene Krebsarten angeschaut: Lungenkrebs, Krebse, die in Zusammenhang mit Rauchen gehäuft auftreten (zum Beispiel Bauchspeicheldrüsenkrebs, Dickdarmkrebs) und Krebse, die nicht typischerweise in Zusammenhang mit Rauchen stehen. Die Patienten wurden in «Raucher», «Ex-Raucher» oder «Nicht-Raucher» unterteilt. Es bestanden keine Informationen darüber, wie viel die Patienten geraucht hatten, welche Stärke die gerauchten Zigaretten hatten oder ob auch E-Zigaretten oder Pfeifen geraucht wurden. Die Hauptresultate der Studie waren die folgenden:
Zusammenfassend zeigt die Studie, dass bei HIV-infizierten Personen das Risiko für Lungenkrebs auch nach Rauchstopp über viele Jahre erhöht bleibt. Anders als in der HIV-negativen Allgemeinbevölkerung, führt ein Rauchstopp also nicht zu einem raschen Rückgang des Risikos für Lungenkrebs. Es ist deshalb wichtig, HIV-infizierte Personen von Rauchen abzuhalten und Programme zu entwickeln, welche einen Rauchstopp unterstützen. Ebenso ist es wichtig, dass auch nach Rauchstopp das Bewusstsein für die mögliche Entwicklung eines Lungenkrebses bestehen bleibt. |
21. Februar | Leon-Reyes et al., Kostenabschätzung zur Behandlung HIV-infizierter Personen in der Schweiz | |
Um die aktuellen und zukünftigen Bedürfnisse von HIV-infizierten Personen in der Schweiz abschätzen zu können, sind verlässliche Daten zu den Kosten und der Ressourcennutzung im Gesundheitswesen von entscheidender Bedeutung. Bisherige Studien zu den Kosten, welche bei der Behandlung HIV-infizierter Personen anfallen, waren nicht repräsentativ und deshalb nur von begrenztem Nutzen für die Entscheidungsträger im Gesundheitswesen. In der vorliegenden Pilotstudie wurden nun erstmals auf anonymisierte Weise Gesundheitsdaten aus der Schweizerischen HIV-Kohortenstudie (SHCS) mit Daten des größten Schweizer Krankenversicherers Helsana miteinander verknüpft, um die Kosten abschätzen zu können, welche bei der Behandlung der HIV-Infektion entstehen. Wie hoch diese Kosten ausfallen und durch welche Faktoren diese beeinflusst werden, lesen sie weiter unten. Für die vorliegende Analyse wurden die Daten aller Versicherungsnehmer der Krankenversicherung Helsana, welche einen Datensatz für eine antiretrovirale Therapie (n = 2‘355) aufwiesen, mit den Daten antiretroviral behandelter Patienten aus der SHCS (n = 9‘326) in den Jahren 2012 und 2013 anonym verknüpft. Die primären Studienendpunkte waren die gesamten Gesundheitskosten in den Jahren 2012 und 2013 pro Patient in der HIV-infizierten Schweizer Bevölkerung. Die Patienten wurden für diese Analyse bezüglich Ressourcen-Aufwand in Gruppen mit niedrigem, mittlerem und hohem Risiko eingestuft. Die Durchschnittskosten für die Behandlung HIV-infizierter Personen in der Schweiz in den Jahren 2012 und 2013 betrugen CHF 32‘289 und CHF 33‘132 und entfielen hauptsächlich auf die Kosten der antiretroviralen Therapie in der ambulanten Behandlung (70% der durchschnittlichen Kosten). Für die risikoarme Gruppe betrugen die Kosten in den Jahren 2012 und 2013 durchschnittlich CHF 28‘378 und CHF 27‘699. In der mittleren Risikogruppe lagen die jährlichen Kosten in den Jahren 2012 und 2013 um mehr als CHF 3‘737 (13%) und CHF 4‘629 (17%) höher bzw. in der hohen Risikogruppe um CHF 14'867 CHF (52%) und 14‘516 (52%) höher. Zusammenfassend zeigt diese Studie, dass der Hauptteil der Kosten bei der Behandlung von HIV-infizierten Personen in der Schweiz auf die antiretrovirale Therapie entfällt. Eine detaillierte Analyse der studierten Personengruppen ergab, dass folgende Faktoren mit erhöhten Behandlungskosten vergesellschaftet waren: zunehmendes Alter, vorgängige AIDS Diagnose, psychiatrische Begleiterkrankungen, Drogen- und Alkoholkonsum sowie eine niedrige Medikamentenadhärenz. Ein wiederholter Abgleich von SHCS- und Gesundheitsdaten von Krankenkassen in einer größeren Stichprobe könnte wesentliche Daten liefern, um zukünftige Kosten zu modellieren, welche die Gesundheitspolitik auf verschiedenen Ebenen beeinflussen könnte. |
24. Januar | Salazar-Vizcaya et al., Einfluss der hochwirksamen Hepatitis C Therapien auf die Krankheitslast bedingt durch HCV Infektionen bei Personen mit einem erhöhten Risiko für Hepatitis C | |
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat sich zum Ziel gesetzt, Hepatitis C Virus (HCV) Neuinfektionen bis 2030 um 90% zu reduzieren. Um dieses Ziel zu erreichen ist es entscheidend, die Entwicklung von HCV Infektionen in Personengruppen mit einem erhöhten Risiko für HCV zu kennen. In der vorliegenden Studie aus der Schweizerischen HIV Kohortenstudie haben die Autoren untersucht, welche Auswirkung die Verfügbarkeit der neuen hochwirksamen Hepatitis C Medikamente (Direct Acting Agents; DAAs) auf die HCV Epidemie bei Männern, die Sex mit Männern haben (MSM) und bei Personen, die Drogen intravenös konsumieren (PWID), hatte. Die Autoren konnten zeigen, dass - erfreulicherweise - in den letzten Jahren die Behandlung der HCV Infektionen mit DAAs deutlich zugenommen hat. Weshalb diese Zunahme an DAA Behandlungen bei der Gruppe der MSM nicht reichen wird, um die HCV Epidemie einzudämmen, lesen sie weiter unten. Insgesamt wurden in der Studie zwischen 2005 bis 2016 5'267 MSM und 1'805 PWID über einen Zeitraum von 38'693 beziehungsweise 14'748 Personenjahre nachverfolgt. Folgende Resultate hat die Studie ergeben: - Die Anzahl an HCV Neuinfektionen nahm bei den MSM massiv zu und verfünffachte sich im Beobachtungszeitraum der Studie. - Bei den PWID gab es über den gesamten Beobachtunsgszeitraum bloss eine einzige HCV Neuinfektion. - Die Anzahl an HCV Re-Infektionen, das heisst eine erneute Ansteckung nach erfolgreicher DAA Therapie oder Spontanheilung, nahm bei den MSM massiv zu und verzehnfachte sich im Beobachtunsgszeitraum. - Die Anzahl Re-Infektionen nahm bei den PWID im Beobachtunsgszeitraum um das Dreifache ab. - Die Anzahl Patienten mit einer aktiven HCV Infektion nahm bei den PWID kontinuierlich ab, während dessen sie sich bei den MSM verdoppelte. Zusammenfassend zeigt die Studie, dass die Zunahme und die Wirksamkeit der DAA Behandlungen zur Folge hatte, dass die Anzahl an aktiven HCV Infektionen bei den PWID in der Schweizerischen Kohortenstudie über die letzten Jahre deutlich abgenommen hat. Im Gegensatz hierzu wurde bei den MSM die Zunahme an DAA Behandlungen wieder ausgeglichen durch die sehr hohe Anzahl an Neu- und Re-Infektionen. Nebst der niederschwelligen Verfügbarkeit der DAA Therapien und dem raschen Therapiebeginn sind somit bei MSM zusätzliche Massnahmen notwendig, um die HCV-Epidemie einzudämmen. Hierzu gehören gezielte Massnahmen, welche eine Senkung des Risikoverhaltens zur Folge haben und der konsequente Kondomgebrauch bei Analverkehr mit Gelegenheitspartnern. |